Der ehemalige St. Johanner Alpenvereins-Obmann Horst Eder hat aus seiner Erinnerung ein paar Erlebnisse niedergeschrieben. Teil 1.

Wenn man – so wie ich – Jahrgang 1944 ist, versteht es sich, dass sich in den 1950er-Jahren viel ereignet hat; vom Schulbeginn bis zum Eintritt ins Berufsleben. Und es ist so einiges geschehen in und um St. Johann, was mir noch gut in Erinnerung ist.

Der Ernst des Lebens

begann also mit dem Schuleintritt im September 1950 in die Volksschule. Maria Gapp, einer eingesessenen Lehrersfamilie entstammend, war unsere erste Lehrerin. Dazu sei angemerkt, dass es damals üblich war, dass eine Lehrerin ledig und kinderlos blieb, um sich ganz ihren pädagogischen Aufgaben widmen zu können. Maria Gapp war und blieb also unser „Fräulein“. Und sie bemühte sich in feiner Art, uns in den ersten zwei Jahren die wichtigste Grundausbildung, also Schreiben, Lesen und Rechnen, beizubringen. Das Schulhaus von damals beherbergt heute nur noch die Polytechnische Schule, damals war die ganze Volksschule und die ersten Klassen der neu gegründeten Hauptschule im Haus untergebracht, es herrschte also akute Raumnot. Es gab Wechselunterricht, das heißt: eine Woche hatten die Mädchen vormittags Unterricht und die Buben nachmittags, die darauffolgende Woche war’s dann umgekehrt. Der Schulausflug in der ersten Klasse war traditionsgemäß das Samerbadl.
In der dritten Klasse war dann Heribert Fuchs unser Lehrer, da kamen noch ein paar Fächer dazu, so erfuhren wir in „Heimatkunde“, dass das Schulgebäude 1893 erbaut wurde, 1924 um ein Stockwerk erhöht wurde und dass es 1945 sechs Monate lang von Flüchtlingen bewohnt war. Heribert erklärte uns viel Wissenswertes, so z.B. waren ihm die Berge, Weiler und Ortschaften rund um St. Johann ein wichtiges Anliegen. Von unseren Skiausflügen zur Langwies organisierte er uns nette Gruppenfotos zur Erinnerung. Schulmilch gab es zu dieser Zeit auch schon, ich „durfte“ das Milchgeld einkassieren und mit dem vielen Wechselgeld einmal wöchentlich zur Frau Perterer in die Wieshoferstraße gehen, die Frau Metzgermeisterin war froh über den Haufen Kleingeld und ich bekam als Dank ein kleines Stück Knödelwurst, eine willkommene Jause. Wir waren eine bunt gemischte Schar, die sich gut verstand. Ein Mitschüler war der Theimer Uwe, Sohn des Reiseleiters und Skilehrers Otto Theimer, der nach der Volksschule zu den Wiener Sängerknaben kam und später Dirigent wurde.

Die Franzosen in St. Johann

Nach dem Zweiten Weltkrieg war Tirol unter französischer Besatzung, eine Einheit des französischen Militärs war in der Kaserne untergebracht; die Offiziere bewohnten einige Gasthöfe und Hotels im Ort. Gut in Erinnerung habe ich noch, wenn die Soldaten zu einer Übung ausmarschierten, voran ein paar Musikanten, die während des Marschierens ihre Trompeten in die Luft wirbelten, es folgte die Mannschaft und am Schluss ein Wagen mit auffallend großen Hinterrädern, gezogen von ein paar Mulis. Die Franzosen bauten sich selbst eine Seilbahn, Talstation war etwa da, wo heute die Pension Noichl steht, die Bergstation war nahe Hirschberg. Eine offene Kiste, Platz für vier Personen, das war‘s, es ist nie etwas passiert. Und wenn die Franzosen schlecht und recht die Hänge von der Angerer Alm herabgekurvt waren, hieß es im Ort: „Iatz is’s ei’gfahr’n!“, was soviel bedeutete wie: „Iatz hamma a Pist‘n!“ Ein tragisches Ereignis war im Winter 1946, als eine alpine Gruppe der Franzosen, trotz eindringlicher Warnung der Einheimischen, den Nordhang des Kitzbüheler Horns querte und unter eine Lawine kam, ein paar Tote waren die Folge. Das war dann auch der Anlass, dass sich eine Bergrettung in St. Johann bildete.

Information ist alles

Die Medien waren zu dieser Zeit: ein krächzendes Radio und eine Tageszeitung, eventuell noch der Anzeiger oder die Sonntagspost, das war dann schon gehobener Standard. Noch etwas gab’s damals: den Lesezirkel Alpenland. Sechs deutsche Illustrierte, darunter Quick, ­Revue, Bunte und Stern, kamen im Wochenrhythmus von einer Leserfamilie zur anderen, wir waren – auch aus Ersparnisgründen – die Letztleser, die Zeitungen waren sieben oder acht Wochen alt, bis sie bei uns ankamen; es sammelte sich eine große Menge Papier an, das dann ordnungsgemäß entsorgt wurde. Ich war also im Volksschulalter schon bestens informiert über den ägyptischen König Faruk, über Juan und Evita Peron aus Argentinien, das britische Königshaus mit Hochzeit und Krönungsfeierlichkeiten, Schah Reza Pahlevi und Kaiserin Soraya von Persien, die Besteigung des Nanga Parbat durch Hermann Buhl, später dann über Fürst Rainier und Grace Kelly und alle, die damals zum „Jet-Set“ zählten.

Großer Bahnhof St. Johann – Franz Rainer und Haile Selassie

Unser Bahnhof hatte schon immer große Bedeutung, zum Beispiel anfangs bis in die späteren 1950er-Jahre, wenn ein Reisezug aus Deutschland Touristen zu uns brachte. Da schickten die Hotels und Gasthöfe ihre Hausmeister, die Pensionsbesitzer und Privatvermieter waren mit ihren Namensschildern und den Gummiwagerln (oder Leiterwagerln) präsent, es war recht turbulent. Österreich war ja das bevorzugte Urlaubsland der Deutschen, die Nähe, die Leistbarkeit und die Sprache waren dafür die Argumente.
Großen Bahnhof gab es am 3. Oktober 1953: Die Nachricht von einem Rücktransport von ehemaligen Soldaten, die jahrelang in russischer Kriegsgefangenschaft waren, kündigte sich an, die Nachricht verbreitete sich wie ein Lauffeuer im Ort, es kamen Hunderte Leute zum Bahnhof, der Zug hielt an, Applaus brauste auf, als Franz Rainer, Bruder von Karl Rainer, ausstieg und von seiner Familie und den vielen Anwesenden begrüßt wurde.
Im November 1954 besuchte der Kaiser von Äthiopien, Haile Selassie, unser Land. Aus der Zeitung wussten wir, wann Seine Hoheit bei uns per Sonderzug durchfährt auf seinem Weg in die Schweiz. Die Chance, einen echten Kaiser zu sehen, wollten wir uns nicht entgehen lassen und waren zeitgerecht am Bahnhof; zuerst fuhr eine einzelne Lok durch, dann kam der Sonderzug mit dem hohen Gast, wir sahen ihn für ein paar Sekunden steif sitzend im Salonwagen vorbeirauschen und waren erfreut, einen echten Kaiser gesehen zu haben.
Horst Eder

Fortsetzung in der Oktober-Ausgabe